Inhalt  KULTUR UND KUNST Sie befinden sich im Kapitel 'Geschichte der Bilder'
Ein beitrag zur begriffsklärung nach Hans Saner (Berner Zeitung, 11.6.94, gekürzt) Clottu-bericht 1975: Kunst und das heimatliche kulturgut = Kultur
Literatur, theater, musik, bildende künste, film... “und darüber hinaus das kulturelle erbgut des landes”, dh das “heimatliche kulturgut”. Dies meint alle einstellungen, umweltgestaltungen, verhaltensweisen, äusserungen, “die für ein gruppengebundenes, lokales, regionales und schweizerisches selbstverständnis zurzeit und in naher zukunft als typisch und notwendig erachtet werden.” Allein der zweite punkt wird als notwendig erachtet, um das richtige selbstverständnis als schweizer zu haben. Es werden damit ausgegrenzt:
Gebietsmässig die wissenschaften, die religionen, die wirtschaft; herkunftsmässig das nichtheimatliche kulturgut und das, was andere in dieses land gebracht haben.


Idealistischer dualismus
von Kurt Marti in “ZeitSchrift” nr.1/1994, gekürzt
Oben die hohe kultur, die spitzenkultur, das gute - unten das alltägliche, das banale, das böse auch: so jedenfalls möchten “kulturbeflissene” es haben. Ein durch und durch dualistisches weltbild. Und dann die überspannten erwartungen an die sogenannten “kulturträger”, die leise oder laute forderung, gerade ihnen hätte das jeweils gerade richtige und gute einzufallen. Ja, so hätte mans gern. So hoffte man einst wohl auf das dazwischenfahrende wort gottes. Inzwischen ist man jedoch bescheiden geworden, hat den glauben an göttliche intervention verloren, sich dafür eine ersatz-instanz aufgebaut namens “kultur”. Und unversehens sahen sich einige musiker, denker, schreiber, filmer zu “kulturschaffenden”, zu priestern dieser ersatz-religion ernannt und dem entsprechenden erwartungsdruck ausgesetzt. Und also taten sie, was von ihnen erwartet wurde. Ob sie es aber gut taten? Natürlich nicht - das ist es ja eben!

Das dualistische ist ein illusionäres konzept
 Kulturausübende  In der wissenschaft ist kultur nicht ein abgrenzbarer bereich in einer gesellschaft, sondern die ganze lebensform einer population (sei diese nun ein dorf, eine region oder eine ethnie), unter einem bestimmten aspekt: wie es von menschen hervorgebracht worden ist oder hervorgebracht wird. Es gibt also soviele kulturen wie populationen, deshalb sprechen wissenschaftler nie von der kultur, ausser sie würden eine meta-theorie entwerfen, sondern immer von einer bestimmten kultur oder von kulturen. Wenn man von kultur im singular spricht, meint man immer nur einen teilbereich, der dadurch ausgrenzbar wird. Tabelle, 8KB
 Kulturtätigkeiten  In bezug auf kulturelle tätigkeit kann man das insgesamt einer lebensform vertikal gliedern in ein
Kulturarchiv, indem sich alles befindet was schon hervorgebracht worden ist, in die
Kulturaneignung und -vermittlung und in die
Kulturproduktion, die dem archiv immer neue güter zuführt und so zu immer neuer, permanenter aneignung zwingt. Die tätigkeiten finden nicht nacheinander, sondern zugleich statt: Alle aneignung setzt einen bestand voraus, der nur lebt, wenn er angeeignet und geäufnet wird und die produktion ist auf aneignung aus einem bestand angewiesen.... Es gibt keine menschen, die keine kulturschaffende sind. Menschliches leben ist kultürliches leben.
 Kulturerzeugnisse  In bezug auf den werkcharakter der kulturen lassen sich ihre erzeugnisse horizontal in drei schichten einteilen:
Materielle lebensbewältigung (Stuhl, messer, kleid)
Strukturelle lebensorganisation (Verwandtschaftsgrade, amtswege)
Symbolische lebensdarstellung (Künste, wissenschaften, religion)
Alle drei bereiche sind ineinander verschachtelt: Wir müssen uns ernähren, um am leben zu bleiben. Im kulturell durchgeformten essen zeigt sich aber auch, wie die gesellschaft strukturiert ist. Es ist immer von symbolen und kleinen ritualen begleitet, die weit über den primären zweck der ernährung hinausweisen.
 Rolle der künstler  Auf dem hintergrund dieses erweiterten kulturbegriffs sollten sich die künstler gedanken machen über ihren standort in der gesellschaft und die bedeutung der kunst in ihr. Speziell sollten sie ihren allfälligen alleinvertretungsanspruch ablegen, und sich über die arbeit definieren: Künstler sind menschen, die arbeiten, indem sie malen, bildhauern, musik machen usw. Und wenn sie mehr sind, so kann sich dies nicht in ihrem anspruch zeigen, sondern in ihren werken und im urteil derer, die sie hören und sehen.
 Rolle des staates  Auch der staat sollte seine rolle überdenken: Die staatliche förderung der aneignung begünstigt die kunstwissenschaft mehr als die künste selber. Das ist eigentlich unklug, denn alle wissenschaften von den künsten setzen deren rang und qualität voraus, wenn sie nicht zu wissenschaften vom nicht-wissenswerten werden sollen. Wenn die künste gefördert werden sollen, müssen die künstler gefördert werden!
 Rolle der kunst  Sind die künste aber so wichtig, dass sie überhaupt gefördert werden sollen? Wie alle kulturformen sind sie vernetzt und verschichtet mit der strukturellen lebensorganisation und der materiellen lebensbewältigung. Noch keine gesellschaftsordnung ist ohne repräsentation durch sie ausgekommen. Man sagt auch, sie seien zweckfrei; aber sie sind eher zweckoffen bis hin zur zweckfreiheit.
Sie schaffen symbolwerke, deren horizont die auslegung der welt und des menschen ist.
 Offenheit der kunst  Religion ist gebunden an den glauben, ideologien an politischen interessen, wissenschaften an sachverhalte und deren verknüpfungen zu theorien. Die künste allein kennen keine apriorische bindung. Sie sind der möglichkeit nach radikal offen für die auslegung der welt. Eben dadurch lehren sie uns unausgesetzt die welt und uns in ihr neu und wieder anders zu sehen. Sie sind darin die grosszügigsten lehrmeisterinnen: Weder knechten sie uns wie eine ideologie, noch zwingen sie uns in die knie wie eine religion, noch sprechen sie nur zu einer elite wie die wissenschaften. Sie sind der kühnste weg zu zu einer interkulturellen welt und längst schon deren antizipation (Vorwegnahme). Das macht sie unersetzlich - heute mehr denn je.
Top  KULTUR UND KUNST zurück naechstes