Inhalt  KITSCH Sie befinden sich im Kapitel 'Geschichte der Bilder'
 Franz Linde, 
 Kunst oder Kitsch, 
 1934, J. Bard verlag, 
 Berlin 
Kunst ist geformtes erlebnis. Denken wir uns nun den kitsch-schaffenden im wettstreit mit dem künstler, so gelangen wir zu dem ergebnis, dass der kitschmaler ein erlebnis darstellen will, das in ihm gar nicht vorhanden ist, da ihm die eine voraussetzung zum künstlerisch schaffenden menschen fehlt: Die fähigkeit zum formerlebnis. Es fehlt ihm die kraft und die gabe, das erlebnis in der natur in künstlerisch lebendige form umzusetzen. Es wird lüge daraus.
Es gibt künstler, die nicht so gut zeichnen können wie etwa Henneberg. Aber das rein technische können ist eben nicht das entscheidende. Wenn das können das entscheidende wäre, wären Makart, Piloty und W. von Kaulbach grosse künstler. Wenn diese maler auch nicht kitschmaler sind, so sind sie doch nicht künstler, sondern nur könner, artisten. Kunstfertigkeit, handwerkliche geschicklichkeit genügen nicht, um ein kunstwerk hervorzubringen. Das können ist die grundlage, weiter aber auch nichts; allerdings eine durchaus notwendige grundlage. Hennebergs 'Jagd nach dem Glück' ist durchaus gekonnter kitsch, während Ehrensbergers 'Klatschrosen' nicht gekonnter kitsch ist. Das können entscheidet also nicht über die kunst, auch nicht über den kitsch. Ob wir ein bild zur kunst oder zum kitsch rechnen müssen, ist neben der frage nach der geistigen und seelischen haltung eine frage der künstlerischen form.
Makart, Romeo und Julia, 48KB
 Vereinfacht nach: 
 R. Musil, 
 'Nachlass zu lebzeiten', 
 1957, Rowohlt verlag, 
 Hamburg
Leben ist leben: Wer es nicht kennt, dem ist es nicht zu beschreiben. Es ist freundschaft und feindschaft, begeisterung und ernüchterung, peristaltik und ideologie. Das denken hat neben anderen zwecken den, geistige ordnungen darin zu schaffen. Auch zu zerstören. Aus vielen erscheinungen des lebens macht der begriff eine, und ebensooft macht eine erscheinung des lebens aus einem begriff viele neue.
Der dichter x wäre in einer noch etwas schlechteren zeit ein beliebter familienblatterzähler geworden. Er hätte dann vorausgesetzt, dass das herz auf bestimmte situationen immer mit den gleichen bestimmten gefühlen antwortet. Der edelmut wäre in der bekannten weise edel, das verlassene kind beweinenswert und die sommerlandschaft hezstärkend gewesen. Es ist zu bemerken, dass sich damit zwischen den gefühlen und den worten eine feste, eindeutige, gleichbleibende beziehung eingestellt hätte, wie sie das wesen des begriffs ausmacht.
Der kitsch, der sich so viel auf das gefühl zugute tut, macht also aus den gefühlen begriffe.
Nun ist aber x infolge der zeitumstände statt guter familienblatterzähler schlechter expressionist geworden. Als solcher stellt er geistige kurzschlüsse her. Er ruft mensch, gott, geist, güte, chaos und spritzt aus solchen vokabeln gebildete sätze aus. Wenn er die volle vorstellung oder wenigstens die volle unvorstellbarkeit mit ihnen verbände, so könnte er das gar nicht tun. Aber die worte sind lang vor ihm in büchern und zeitungen schon sinnvolle und sinnlose verbindungen eingegangen, er hat sie oft beisammen gesehen, und schon bei kleinster ladung mit bedeutung zuckt zwischen ihnen der funke. Das ist nur die folge davon, dass er nicht an erlebten vorstellungen denken gelernt hat, sondern an den von ihnen abgezogenen begriffen.
Ist die kunst nicht ein mittel, um kitsch vom leben abzublättern? Schichtenweise legt sie ihn bloss. Je abstrakter sie wird, desto durchsichtiger wird die luft. Je weiter sie sich vom leben entfernt, desto klarer wird sie? Welche verkehrtheit ist es, zu behaupten, das leben sei wichtiger als die kunst! Das leben ist so gut, soweit es der kunst standhält: Was nicht kunstfähig am leben ist, ist kitsch!
Kaulbach, Die Beichte, 38KB
 Nach Georg Schmidt, 
 'Umgang mit Kunst', 
 Walter verlag, Olten, 
 1946
Kampf dem kitsch!
Es gibt zwei arten von wissen, ein gefühlsmässiges, instinktives wissen und ein verstandesmässiges, begriffliches wissen. Im bereich des ästhetischen urteilens ist das gefühlsmässige wissen wichtiger als das begriffliche, da auch im bereich des künstlerischen produzierens die unbewussten antriebe primärer sind als die bewussten. Man kann also sehr genau wissen, was kitsch ist, und doch ausserstande sein, von ihm eine begriffliche definition zu geben. Und umgekehrt: Man kann mit der schönsten definition auf den ersten besten kitsch hereinfallen!
Kitsch hat es nicht gegeben in der gesamten kunst der altsteinzeitlichen jäger und sammler, der jungsteinzeitlichen viehzüchter und hackbauern, in den bronzezeitlichen agrarfeudalkulturen Aegyptens, Indiens, Chinas, Japans, Perus, Mexikos, des archaischen Griechenland, des etruskischen Italien und endlich wiederum des byzantinischen und romanischen mittelalters. In allen diesen zeiten gibt es nur künstlerisch schwächere werke, nicht aber den gegensatz zwischen dem künstlerischen und dem grundsätzlich unkünstlerischen.
Erst unter dem einfluss der nächstspäteren kulturstufe finden wir auch in den spätzeiten einzelner kulturen Aegyptens, Indiens, Chinas und Japans, was wir als kitsch bezeichnen; auch in der griechischen spätklassik, im hellenismus, in Rom nach Augustus bis zum untergang.
Das Mittelalter gilt als kitschfrei.
Erst in der zweiten hälfte des 15.JH setzt der kitsch wieder ein und begleitet uns bis heute. Auch berühmte künstler haben kitsch hervorgebracht: Raffael, Dürer, Rubens, Ingres, Böcklin, Hodler. Auch die kinderzeichnung kennt etwa bis zum 14. oder 15. altersjahr den kitsch nicht und gerät anschliessend unweigerlich in den konflikt zwischen kunst und kitsch. In der freien kunst gilt die Forderung, dass das kunstwerk ein erkenntnismässig richtiges abbild der sichtbaren, gegenständlichen wirklichkeit gebe - auf der ebene der geistigen gesinnung der realismus, das heisst die forderung, dass das kunstwerk wahr sei, und zwar nicht nur gegenüber der äusseren, gegenständlichen wirklichkeit, sondern auch gegenüber der inneren, menschlichen, geistigen wirklichkeit.
Das richtige und das wahre: Das sind die beiden fundamental neuen wertmassstäbe, welche die griechische klassik in die kunst eingebracht hat. Die kunst der naturvölker ist magisch - expressiv, sie kennt in ihren künstlerischen mitteln gerade nicht den masssab des richtigen, in ihrer geistigen haltung nicht den massstab des wahren. Die kunst des agrarfeudalismus ist symbolisch - expressiv, und kennt die obgenannten masstäbe ebensowenig.
Kitsch ist ein künstlerisches gebilde, das im künstlerischen mittel naturalistisch ist, in der geistigen gesinnung jedoch den realismus verleugnet - oder noch knapper: Kitsch ist äussere richtigkeit bei innerer unwahrheit.
Demokratie und realismus sind notwendig miteinander verbunden, wie Magie und hackbau und symbolik und feudalismus. Schwächung oder preisgabe der demokratie manifestiert sich in der kunst immer als schwächung oder preisgabe realistischer gesinnung.
Für den film, den geradlinigen erben der naturalistischen bildkunst, behält die klassische definition ihre volle gültigkeit: Filmkitsch ist der widerspruch zwischen naturalistischem darstellungsmittel und unrealistischer (antidemokratischer!) gesinnung. Und da der film, der das stärkste instrument der wirklichkeitserkenntnis sein könnte, heut das meist missbrauchte instrument der wirklichkeitsflucht ist, hat der film den ruhm, das paradies des kitsches zu sein.
Der kampf nur gegen die die kitschprodukte ist tatsächlich ein kampf gegen die hydra. Da der hauptnährboden des kitsches die wirklichkeitsflucht ist, werden wir den kitsch wieder aus der welt schaffen, sofern wir bereit und fähig sind, verhältnisse herbeizuführen, in denen auf seiten der kunst-konsumenten keine nachfrage nach dem süssen gift der wirklichkeitsflucht mehr vorhanden ist und auf seiten der produktion und der verteilung keine möglichkeit mehr besteht, aus der nachfrage nach diesem gift ein geschäft zu machen.
 aus: 
 Milan Kundera, 
 Die unerträgliche leichtigkeit des seins, 
 1984, Hanser verlag,
 München 
Wurde noch vor kurzer zeit das wort scheisse in büchern durch pünktchen ersetzt, so geschah das nicht aus moralischen gründen. Sie wollen doch nicht etwa behaupten, scheisse sei unmoralisch! Die missbilligung der scheisse ist metaphysischer natur. Der moment der defäktion ist der tägliche beweis für die unannehmbarkeit der schöpfung. Entweder oder: entweder ist die scheisse annehmbar (dann schliessen Sie sich also nicht auf der toilette ein!) oder aber wir sind als unannehmbare wesen geschaffen worden.
Daraus geht hervor, dass das ästhetische ideal des kategorischen einverständnisses mit dem sein eine welt ist, in der scheisse verneint wird und alle so tun, als existiere sie nicht. Dieses ästhetische ideal heisst Kitsch.
Es ist ein deutsches wort, das mitten im sentimentalen neunzehnten jahrhundert entstanden und in alle sprachen eingegangen ist. Durch häufige verwendung ist die ursprüngliche metaphysische bedeutung verwischt worden: Kitsch ist die absolute verneinung der scheisse. Kitsch schliesst alles aus seinem blickwinkel aus, was an der menschlichen existenz im wesentlichen unannehmbar ist.
Das durch den kitsch hervorgerufene gefühl muss allerdings so beschaffen sein, dass die massen es teilen können. Deshalb kann der kitsch nicht auf einer ungewöhnlichen situation beruhen, sondern nur auf den urbildern, die einem ins gedächtnis geprägt sind: Die undankbare tochter, der verratene vater, auf dem rasen rennende kinder, die verlassene heimat, die erinnerung an die erste liebe.
Der kitsch ruft zwei nebeneinander fliessende tränen der rührung hervor. Die erste träne besagt: Wie schön sind doch auf den rasen rennende kinder. Die zweite träne besagt: Wie schön ist es doch, gemeinsam mit der ganzen menschheit, beim anblick von auf dem rasen rennenden kindern gerührt zu sein! Erst diese zweite träne macht den kitsch zum kitsch. Die verbrüderung aller menschen dieser welt wird nur durch den kitsch zu begründen sein....
In einer gesellschaft, in der verschiedene politische richtungen nebeneinander existieren, deren einfluss sich gegenseitig behindert und begrenzt, kann man der inquisition durch den kitsch noch entkommen; der einzelne kann seine originalität wahren, der künstler unerwartete werke schaffen. Wo aber eine einzige politische partei alle macht hat, befinden wir uns im reich des totalitären kitsches.
Sage ich totalitär, so bedeutet dies, dass alles, was den kitsch beeinträchtigen könnte aus dem leben verbannt wird: Jede äusserung von individualismus (jede abweichung ist spucke im gesicht der lächelnden brüderlichkeit), jeder skeptizismus (wer an kleinigkeiten zu zweifeln beginnt, wird damit enden, das leben an sich anzuzweifeln), jede ironie (im reiche des kitsches ist alles unbedingt ernst zu nehmen), aber auch die mutter, die ihre familie verlassen hat oder der mann, der die männer den frauen vorzieht und so die hochheilige parole 'Liebet und mehret euch' in frage stellt. Unter diesem gesichtspunkt kann man den sogenannten gulag als klärgrube betrachten, in die der totalitäre kitsch seinen abfall wirft....
Der kitsch ist eine spanische wand, hinter der sich der tod verbirgt.....
Die quelle des kitsches ist das kategorische einverständnis mit dem sein.
Denkmal in Moskauer u-bahn, 47KB Kinder auf rasen, 28KB
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