Inhalt  VIRTUELLE MODELLE Sie befinden sich im Kapitel 'Abbilden'
 Modellbau maschinell  An unserer Schule haben wir zwei neue "Modellbaumaschinen" angeschafft und in Betrieb genommen: Einen Printer, der Pulver schichtweise mit Leim bindet und eine einfache NC-Fräse (NC = numeric control). Nun hat sich intern die Diskussion entzündet, ob dieses Projekt (angewandte) Forschung oder Dienstleistung sei, praktische Umsetzung oder neue Planungsmethode, zeitgemässe Massnahme oder längst eingeführte Technik oder was auch immer. Einige Gedanken zu diesem Bedeutungsfeld möchte dieser Artikel beitragen. 3D-Drucker, 42KB Aufsatz aus dem Jahre 2005
 Schöner Schein?  Der Titel ist irritierend, wenn man Virtualität als "vom Computer simulierte Scheinwirklichkeit" und das Modell als "Nachbildung in kleinerem Massstab" übersetzt. Der "schöne Schein" hat in der Diskussion um Leistungsfähigkeit von Bildern eine lange Tradition, die hier wieder mal aufscheint: Abbilder sind suspekt, seit Plato Schein und Sein getrennt hat: Hier unser vergängliches, wechselhaftes unperfektes Leben voller Illusionen und Irrmeinungen - dort das Absolute, Wahre, Ewige, Beständige, Göttliche, das Paradies eben. Dabei vergisst man vielleicht, dass sich die Auffassung weiterentwickelt hat. Im mittelalterlichen Neuplatonismus war man der Auffassung, dass Bilder eine anschauliche Wirkung haben,nämlich die Eigenschaft, das Göttliche aufscheinen zu lassen. Das bedeutet, Bilder können lediglich zeigen, aber nichts beweisen. Deshalb findet immer noch die Auseinandersetzung statt, ob Bilder als Beweismittel vor Gericht zugelassen sind oder nicht. Alex Frei (Spuckaffäre eines Fussballers, durch TV-Bilder nachgewiesen) lässt grüssen.
Die Gestaltpsychologie hat ein weiteres Feld aufgetan, als sie zu untersuchen begann, wie unser Auge die Welt auf die flache Netzhaut fokussiert und das Hirn aus diesem flachen (allerdings sphärisch gekrümmtem) Bild wieder Raum rekonstruiert. Das Hirn stützt sich dabei natürlich zusätzlich auf weitere Sinneseindrücke, aber es bleibt dabei: Die Welt, wie wir sie auffassen, ist eine Interpretation unseres Hirns. Dieses macht bei der Entschlüsselung ab und zu Fehler in speziellen Situationen, bekannt als "optische Täuschungen". Die Regel, der bei der Interpretation hauptsächlich gefolgt wird, ist die Nützlichkeit - und nicht die Wahrheitsfindung: Tarzans Netzhautinformationen werden so entschlüsselt, dass er den Ast nicht verfehlt, den er ins Auge gefasst hat und nicht dass er daraus Erkenntnis über die Wesenheit eines Astes gewinnt.
Fräse, 34KB
 Realismus  Auch "Wirklichkeit" verliert den unterschwellig mitgemeinten Anspruch auf Objektivität, wenn wir annehmen, dass die Realität vom Hirn simuliert wird. Im Wörterbuch wird real mit "dinglich, sachlich, wirklich, tatsächlich" umschrieben. Eine Sache ist eine Rechtsangelegenheit, ein "Thing" ist eine Gerichtsversammlung, eine Wirkung das Ergebnis von (verborgenen) Kräften, eine Tatsache das Ergebnis einer Handlung, also insgesamt etwa ein umstrittener Zustand. Wir kennen das Problem in der Malerei bei Richtungsbezeichnungen: Courbet behauptete in seinem "Pavillon du réalisme" nur noch zu malen, was er sehen und berühren könne, was gegen den damalig vorherrschenden Idealismus gerichtet war. Im 20. Jahrhundert öffnete sich das Feld: Metarealismus, Magischer Realismus, Surrealismus, Sozialistischer Realismus, Kritischer realismus, Hyperrealismus... Jede(r) sieht eben die Welt auf seine Weise. Realismus, 54KB
 Mimesis  Durch die "Nachbildung" wird das Thema des Naturalismus angesprochen. Naturalismus ist das Prinzip, die äussere Erscheinung der Dinge möglichst richtig wiederzugeben. Hier unterscheidet man die Kriterien Vollständigkeit, Proportion und Farbe. Bei gemalten Bildern kommt noch dazu, dass man die Illusion von Körperlichkeit, Räumlichkeit und Stofflichkeit erzeugen muss, was bei räumlichen und materiellen Modellen teilweise entfällt. Beim 1:1 Modell findet eine Verfremdung statt, weil man üblicherweise ein billigeres Material als Repräsentant von Form und Proportion und allenfalls auch Oberfläche Verwendet. Man gewinnt dafür das richtige Verhältnis des Wahrnehmenden zum Objekt. Durch die Verkleinerung des Architekturmodells entfällt zusätzlich die Darstellung der Grösse, man muss sich im Geiste drin bewegen. Der Verlust an Detail führt zu Vereinfachung: Lediglich die Raumverhältnisse werden noch dargestellt.
Hier stellen sich schon erste Fragen zur Leistungsfähigkeit der Abbildungskette: Wenn das Bildschirmbild dem Netzhautbild entspricht, warum brauchen wir noch materielle Nachbildungen? Welche Abstraktionen erleichtern die Wahrnehmung von Raum? Ist die Erzeugung von Naturalismus am Bilschirm für den Rechner zu komplex? Nach welchen Kriterien beurteilen wir die flachen und räumlichen Nachbildungen von Gebilden?
Leuchtturm, 38KB
 Erweiterter Begriff  Wenn wir dem Begriff des Virtuellen weiter nachgehen, stossen wir auf folgende Erweiterungen: Virtualität: innewohnende Kraft oder Möglichkeit Virtuell: entsprechend seiner Anlage als Möglichkeit vorhanden, die Möglichkeit zu etwas in sich begreifend - nicht echt, nicht in Wirklichkeit vorhanden, aber echt erscheinend, dem Auge, den Sinnen vortäuschend Virtuelle Realität: vom Computer simulierte Wirklichkeit, künstliche Welt, in die man sich mithilfe der entsprechenden technischen Ausrüstung scheinbar hineinversetzen kann. Virtuell, 34KB
 Potential  Die Frage, ob Daten, die in einem Rechner vorhanden sind, "in Wirklichkeit" nicht real sind und uns lediglich täuschen, haben wir meiner Meinung nach weiter oben geklärt: Die Wirklichkeit ist ohnehin eine individuelle Hypothese, eine Sache, die sich zuerst im Kopf abspielt und anschliessend durch zutreffende oder eben nicht eintretend Ereignisse überprüft wird. Zudem setzt Täuschung eine betrügerische Absicht voraus, was weder dem Hirn noch dem Computer unterstellt werden kann. Eher von Interesse ist der Umstand, dass 3-dimensionale Datenmodelle auf dem Bildschirm flach abgebildet werden, einer Frage der ich schon in einem früheren Artikel nachgegangen bin ("Qualitätsbeurteilung am Bildschirm", Techpress 1/99).
Viel spannender finde ich die Bedeutungsfacette der "innewohnenden Kraft oder Möglichkeit", des Potentials also, die eine Idee haben kann. Sie passt sehr gut zu einer der weiteren Bedeutungsfarben des Begriffs "Modell":
  • Nachbildung in kleinerem Massstab
  • Entwurf,Muster, Vorbild
  • Vereinfachte Darstellung der Funktion eines Gegenstands oder des Ablaufs eines Sachverhalts, die eine Untersuchung oder Erforschung erleichtert oder erst möglich macht
  • Form zur Herstellung der Gussform
  • Mensch oder Gegenstand, als Vorlage für ein Werk der bildenden Kunst
  • Typ, Ausführungsart eines Fabrikats
  • Kleidungsstück, das eine Einzelanfertigung ist
  • Mannequin
Demnach ist ein Modell nicht nur eine Nachbildung sondern auch Vorbild, Vorlage, Vorstellung und Variante. Dies entspricht bildnerischem Denken: "Wer etwas bilden will, muss eine Vorstellung haben." (Leonardo da Vinci) oder: "Man lauert in der Wirklichkeit, um das wiederzusehen, was man in der Phantasie gesehen hat." (Gisèle Freund über Fotografie) oder: "Die Zeichnung ist nicht die Form. Sie ist die Art und Weise, wie man die Form sieht." (Paul Cézanne)
Potential, 133KB
 Gedachter Raum 
 wird real 
Was bei dem Projekt "Virtuelle Modelle" mitgemeint ist, ist nicht nur die präzise Herstellung eines räumlichen Gebildes mittels einer Maschine, vergleichbar mit unsern Tintenstrahldruckern als Computerzubehör, sondern: Wie wird aus vorgestelltem Raum materieller Raum? Ist der gedachte Raum ein Objekt oder ein Verfahrensmuster, Raum zu erzeugen? Welche Rolle spielen die andern Sinne? Wie beeinflussen Werkzeug und Material das Resultat? Ist die Hand das direktere werkzeug um nonverbal meine Vorstellungen umzusetzen? Ist das entstehende Gebilde ein Darstellungsmodell oder ein Arbeitsmodell? Kann man Raum überhaupt neu denken oder sind es Kombinationen von Erinnerungen? Wie realisiert man vage Vorstellungen mit hochpräzisen Instrumenten? Ist die Genaugkeit der Vorstellung der Ausdruck und nicht die Realisierung? Wie gut muss man ein Werkzeug, ein Verfahren kennen, dass es einen nicht selbst beherrscht? Wie kommt man Albertis Forderung nach, im Modell solle "nicht die Hand des Verfertigers, sondern der Geist des Erfinders" dargestellt werden? Inwiefern beeinflusst das Denken in Grundriss, Schnitt und Ansicht unsere Raumvorstellungen? Ist es möglich, aus diesen Fragen eine (neue) Entwurfstheorie zu entwickeln? Gedachter Raum, 111KB
 Erste Resultate  Die letztjährigen Bemühungen haben zum Teil sichtbare, zum Teil unsichtbare Resultate erzeugt. Das Einfache: Die Maschinen laufen. Wir können jetzt die Anforderungen an die benötigten Daten formulieren. Wir kennen den Weg um schnell konventionelle Lösungen herzustellen. Was noch fehlt, ist die Erfahrung mit diversen Materialien in der Anwendung und Sonderverfahren. Wir sind bereit, unser Wissen in Dienstleistung und angewandter Forschung anzubieten.
Das Komplexere: Evaluation von Software ist aufwendig und hat mich manchen lehrreichen Umweg gekostet. Um überhaupt zu einem Ziel zu kommen, legte ich grossen Wert darauf, die wesentlichen Fragen an die Programme stellen zu können. Mit der Erfahrung stieg die Geschwindigkeit meiner Beurteilungen. Aber: Echte Antworten findet man erst bei vertiefter Anwendung, was nur möglich ist bei intensivem Gebrauch: Zunächst alles wissen, um anschliessend alles wieder vergessen zu können? Dies ermöglichte mir, das erworbene Wissen in einem Weiterbildungskurs weiterzugeben.
Der Ausflug in die Welt der Maschineningenieure liess mich erahnen, warum die zwei Branchen so verschieden denken: Die unterschiedlichen Dimensionen der Objekte; hier Konzeption und Variante - dort Ausführung und Präzision. Mich fasziniert das Spannungsfeld: Warum kann eine offene Formulierung eine präzise Vorstellung bewirken, während eine präzise Lösung beliebig sein kann? Warum trennt man Konzept und Umsetzung?
Haarlandschaft, 149KB
 Ausblick  Beim Modellieren am Computer werden höhere Anforderungen an die "saubere" Zeichnung gestellt, da der Modellbau schon eine "kleine Ausführung" ist. Der höhere Zeichnungsaufwand kann die Konzeption gefährden oder weiterbringen: Fehlt die Zeit zur Überprüfung und Verbesserung, weil man sich in zeichnerische Details verliert, wird die Lösung nicht besser - stimmt die Zeichnung, kann man die Daten immer wieder weiterverwenden und ist so viel früher im Planungsprozess viel weitergekommen. Erste Vesuche der Anwendung mit Studierenden haben gezeigt, dass das zusätzliche Lernen eines 3D-Modelliererprogramms vorerst mal eine ziemliche Belastung darstellt. Vermutlich wird der planerische Mehraufwand zu Rationalisierung in der Ausführung führen. Ein weiterer Schritt in Richtung industrielles Bauen. Findling, 142KB
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